Schwarze Wolken hängen drohend am Himmel und die Sicht ist getrübt. Die Wasser toben und der Wind peitscht die Wellen ans Boot. Vom Sturm herumgewirbelt halten wir Ausschau nach Ufern und festem Grund. Eine Sandbank erhebt sich wie eine Oase auf offener See. Wir atmen auf. Eine Bucht, die die Wellen des Lebens zu glätten vermag, dient als sicherer Hafen. Anker werden gesetzt und geben uns Halt. Denken wird möglich und wir orientieren uns neu. Wir rufen die Besatzung zusammen und ihr Wohl wird bedacht. Jeder wird neu instruiert: Den Böen zum Trotz werden kleine Segel gesetzt, Schäkel und Wanten geprüft. Die Reling wird neu fixiert. Wohin soll die Reise gehen? Raum ist entstanden, die Navigation zu verhandeln. Wir lichten die Anker und gehen auf Kurs. Ein Blick zurück zeigt uns, wo wir mal waren. Kleiner und kleiner wird er, bis er verschwindet: der Ankerplatz.
Dank der systemischen Ausbildung am Institut für phasisch-systemische Therapie bei Dr. Carole Gammer habe ich sowohl den Blick für das direkte Gegenüber als auch für das gesamte, umgebende System.
Wenn immer möglich, von der Thematik her angezeigt und soweit die Familie einverstanden ist, involviere ich von Anfang an oder im Verlauf einer Abklärung und Therapie die Familie, die Schule und
andere involvierte Helfer des Kindes oder Jugendlichen. Dazu gehören ebenso Gespräche mit Eltern und Lehrern, als auch Familientherapie.
Systemisches Arbeiten bedeutet jedoch nicht allein, dass das Umfeld miteinbezogen wird. Im Wesentlichen ist es eine Art und Weise des Denkens und der Wahrnehmung. So wird auch in Einzelgesprächen
der Einfluss der prägenden Umgebung mitgedacht und angesprochen.
Mein systemischer Fokus wurde bereits früh durch das Konzept der Neuen Autorität geprägt.
Die Neue Autorität ist ein erzieherisches Konzept, das in den 1990er Jahren von Haim Omer und Arist von Schlippe entwickelt wurde. Die Idee dahinter ist, die traditionelle Vorstellung von
Autorität in der Erziehung zu überdenken. Statt auf Macht und Kontrolle zu setzen, betont die Neue Autorität den Aufbau einer respektvollen Beziehung zwischen Eltern und Kindern. In der Neuen
Autorität geht es darum, dass Eltern und Erziehungsberechtigte präsent und unterstützend sind, aber gleichzeitig fest in ihrer Rolle als Autoritätspersonen bleiben. Sie setzen auf klare
Kommunikation, gewaltfreie Konfliktlösung und den Aufbau von Vertrauen, anstatt auf Strafen und Autorität durch Angst.
Ziel der Neuen Autorität sind harmonischere Familienbeziehungen und die Reduktion von problematischem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen. Die Eltern stellen dabei einen starken und für die
Kinder verlässlichen Anker dar, während sie gleichzeitig die Freiheit und Autonomie der Kinder respektieren. In ihrer Ankerfunktion greifen die Eltern auf verschiedene Konzepte der Neuen
Autorität zurück, durch welche sie für ihre Kinder zu einer sicheren Basis werden: Präsenz, gewaltloser Widerstand, wachsame Sorge, Netzwerkbildung, Deeskalation und
Selbststeuerung sowie Wiedergutmachung.
Während meiner Dissertation im Bereich der Psychotraumatologie am Kinderspital Zürich bei Prof. Markus Landolt vertiefte ich mich in die Thematik früher Interventionen nach potentiell traumatischen Erlebnissen und eignete mir fundiertes Traumawissen an.
Seither habe ich mich im Bereich der Psychotraumatologie laufend fortgebildet und verschiedene Traumatherapieverfahren (EMDR*, KidNET und STI) erlernt. Im Jahr 2023 liess ich mich schliesslich
zum EMDR Practitioner zertifizieren.
Mit der EMDR*-Ausbildung und insbesondere mit der Vertiefung in EMDR für Kinder- und Jugendliche am Kindertraumainstitut bei
Thomas Hensel und Dr. Kerstin Stellermann-Strehlow in München übernahm ich den transdiagnostischen stressorbasierten Fokus, welcher seither mein psychotherapeutisches Arbeiten dominiert. Dieser
Blickwinkel geht über die klassische Traumatherapie hinaus und fragt unabhängig von einer Diagnose (transdiagnostisch) nach den möglicherweise ursächlichen Stressoren.
*«Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) ist eine von Dr. Francine Shapiro entwickelte Psychotherapiemethode zur Verarbeitung dysfunktional gespeicherter Erinnerungen, die
zu verschiedenen Störungsbildern führen. EMDR ist inzwischen weltweit - unter anderem auch durch die WHO - als Methode zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen anerkannt. Nachdem
EMDR in seinen ersten Anfängen als Technik zur Behandlung von PTBS verstanden wurde, hat sich EMDR in den letzten Jahren zu einer Psychotherapiemethode entwickelt. Diese kann in der Behandlung
vieler psychischer Störungen effektiv und effizient eingesetzt werden.» (EMDR Institut Schweiz)
Der israelische Psychologe und Psychotherapeut, Uri Weinblatt, hat mich auf die immense Bedeutung von Scham sowohl in therapeutischen Prozessen als auch in zwischenmenschlichen Beziehungen sensibilisiert. Zahlreiche Probleme in Beziehungen und Therapiesitzungen entstehen aufgrund von unregulierter Scham.
Unreguliert heisst, dass Menschen entweder zu viel oder zu wenig Scham empfinden. Intensiv erlebte Scham führt oft zu aggressivem Verhalten. Nicht wahrgenommene Scham äussert sich hingegen eher
in Rückzug und Vermeidung.
In der therapeutischen Arbeit ist es für mich von grosser Bedeutung, sensibel auf Scham zu reagieren und die meist verdeckte Präsenz der Scham bewusst wahrzunehmen und zu regulieren. Dies
bedeutet, dass ich versuche, dem Verlust der Stimme der beschämten Person entgegenzuwirken. Dabei unterstütze ich sie, ihre Gefühle und Bedürfnisse angemessen auszudrücken. Wo hingegen aufgrund
der Scham beleidigt wird und Isolation entsteht, bemühe ich mich darum, Beziehung zwischen den Parteien wieder herzustellen – sei es im Verlauf der Gespräche selbst oder als Anleitung für Eltern
im Umgang mit ihren Kindern.